Verzeihung?

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Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken, sagt Ghandi.
Verzeihen ist wichtig für unsere Gesundheit, sagen Psychologen.
Verzeihen ist nicht so einfach, denkst Du Dir jetzt vielleicht.

Wie leicht es uns fällt, zu vergeben oder zu verzeihen, hängt sicherlich davon ab, wie stark die Verletzung ist, die wir in uns spüren. Ebenso, ob wir es alleine schaffen, unseren Groll loszulassen oder uns lieber Unterstützung suchen sollten. Sicherlich gibt es auch in Deinem Leben Ereignisse oder Situationen, an denen Du noch immer „knabberst“ oder Menschen, denen Du noch immer mit Vorbehalt oder negativen Gefühlen begegnest, weil ihr Verhalten eine Verletzung in Dir hervorgerufen hat.

Warum wird Verzeihen überhaupt nötig?

Im Prinzip gibt es drei klassische Situationen, die dazu führen können, dass wir uns verletzt fühlen:

  1. Wir sind enttäuscht, weil der andere unsere Erwartungen nicht erfüllt hat. Besonders kniffelig ist dieser Fall, wenn der andere gar nichts von unseren Erwartungen wusste – oder sie uns selbst erst bewusst werden, wenn wir uns schlecht fühlen.
  2. Wir sind verletzt, weil der andere unbewusst einen „Hot Button“ in uns aktiviert hat, ein Thema, bei dem wir aufgrund unserer Erfahrungen vielleicht empfindlicher reagieren als andere oder mit dem wir selber noch nicht unseren Frieden geschlossen haben. Manchmal wird uns auch das erst in der entsprechenden Situation bewusst.
  3. Unser Gegenüber hat wissentlich so gehandelt, dass er uns verletzt hat.

Warum fällt verzeihen schwer?

Und da tragen wir sie dann mit uns rum, diese schmerzlichen Gefühle, den Groll, den Ärger, die Enttäuschung, die Empörung, ja vielleicht sogar die Wut. Wie Steinchen, die ständig im Schuh drücken. An manchen Tagen mehr, an anderen weniger – je nachdem, wie es gerade „läuft“. Warum ziehen wir den Schuh nicht einfach aus und lassen die Steinchen am Wegesrand liegen?
Vielleicht, weil wir insgeheim mit dem Groll einen emotionalen Ausgleich schaffen wollen? Unser Ärger „Vergeltung“ sein soll für die schlechten Gefühle, für die wir den anderen verantwortlich machen?
Und wir dann am Ende vielleicht darauf hoffen, dass er oder sie endlich „Einsicht zeigt“?
Vielleicht haben wir aber auch einfach Angst, dass uns dasselbe nochmal passiert und möchten das Steinchen deshalb als „Mahnmal“ behalten?

Warum es wichtig ist, zu verzeihen

Das Verrückte dabei ist: eigentlich hat unser Geist einen cleveren Mechanismus. Im Rückblick wirken die meisten negativen Ereignisse weniger schlimm – je länger sie her sind (Traumata ausgenommen). Wenn wir nun diese Ereignisse aber nicht in der Vergangenheit zurücklassen sondern durch unseren Groll immer und immer wieder in der Gegenwart durchleben, geben wir unserem System keine Ruhe, das ganze zu verarbeiten und abklingen zu lassen. Das ist wie eine heilende Wunde immer wieder aufzukratzen.

Nicht vergeben können, heißt zudem, ständig in der Vergangenheit zu leben und verhindert, die Gegenwart zu genießen und sich auf die Zukunft zu freuen.
Das zieht oftmals nicht nur magisch genau das an, was wir mit unserem Groll vermeiden wollten, die negativen Gedanken schaden auch unserer seelischen und körperlichen Gesundheit. Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, Anspannung, Bluthochdruck oder Kopf- und Magenschmerzen können die Folge sein.

Am Ende schadet es also vor allem uns selbst, wenn es uns nicht gelingt, zu verzeihen.
Grund genug, loszulassen, was ohnehin nicht mehr zu ändern ist.

Was Verzeihen eigentlich ist – und nicht ist

Manchmal fällt es uns auch schwer, weil wir Verzeihen falsch verstehen. Wenn wir verzeihen, sagen wir damit nicht, dass wir gut finden, was der andere gemacht hat. Verzeihen bedeutet, Frieden zu schließen mit dem, was Geschehen ist – und es mit allen damit verbundenen Konsequenzen anzunehmen. So wird die bisher durch die negativen Emotionen und Gedanken gebundene Kraft wieder freigesetzt und wir können nach vorne schauen.
Und das Wichtigste: Verzeihen heißt, die Verantwortung für unser eigenes Wohlbefinden wieder zu uns zurück zu holen.

4 Schritte, die helfen

Der US-amerikanische Psychologe Robert Enright, Gründer des „International Forgiveness Institute„, hat ein Modell entwickelt, das uns dabei helfen kann, zu verzeihen und inneren Frieden zu finden. Es besteht aus insgesamt 20 Schritten, die sich in folgende vier Phasen gliedern lassen.

  1. Bewusst durchleben, Gefühle zulassen – werde Dir bewusst, welche Situation Dir zu schaffen macht, lasse Deine Gefühle zu und beginne, sie anzunehmen und zu verstehen. Belasse die Verantwortung für Deine Gefühle bei Dir.
  2. Entschluss, zu vergeben – Mach Dir bewusst, welche Vorteile es mit sich bringt, zu verzeihen und mit der Situation abzuschließen. Treffe dann bewusst die Entscheidung, zu verzeihen – und stehe dazu.
  3. Verständnis – Blicke aus der Sicht der Person, die Dich verletzt hat, auf die Situation. Versuche, Dich in sie hineinzuversetzen, ihr Handeln zu verstehen – ohne es zu entschuldigen. Akzeptiere den damit verbundenen Schmerz. Lasse der Person etwas Gutes zukommen – z.B. einen guten Gedanken. Spüre, wie dadurch ungünstige Impulse wie Angriff oder Rückzug langsam nachlassen.
  4. Akzeptanz – Schließe Frieden, mit dem Geschehenen. D.h. nicht, dass Du es gut findest oder vergisst. Komm zurück zu Dir. Mach Dir bewusst, dass Du nicht alleine bist und besinne Dich auf Deine Lebenszielen und Deine Wünsche. Spüre, wie die wohltuende Wirkung des Loslassens einsetzt und wie gut es tut, schmerzliche Gefühle durch Mitgefühl, Großzügigkeit und Wohlwollen zu ersetzen.

Und übrigens: manchmal geht es auch darum, dass wir uns selbst verzeihen!

Sei großzügig und stark!

Deine Birgit

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