Ist es nicht wunderbar, dass wir als Menschen so eine hochentwickelte Spezies sind?
Das unser Gehirn so viel mehr leisten kann, als das der meisten andere Spezies auf diesem Planeten?
Das wir ein Bewusstsein haben?
Das wir Denken und Reflektieren können?
Hm, manchmal bin ich mir nicht so sicher, ob wir das, was wir da zwischen unseren Ohren haben, auch wirklich zu unseren Gunsten nutzen …
Was bringt es, wenn wir denken und reflektieren können – uns aber dann genau diese Fähigkeit soviel Stress macht, dass wir krank davon werden?
Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Gedanken zu steuern – sondern sie uns und unsere Emotionen steuern. Und zwar oft unkontrolliert.
Das beste und schnellste Auto nützt eben nix, wenn man es nicht fahren kann.
Darüber, wie Gedanken unser Wohlbefinden beeinflussen können – in beide Richtungen – steht viel geschrieben. Deshalb möchte ich Dich hier nicht mit Daten und Fakten langweilen, sondern habe mal wieder eine Geschichte mitgebracht. Auf die bin ich heute bei meinem Yoga Teacher Training gestoßen – dieses Wochenende geht es um Stress und Stressmanagement.
Viel Freude beim Lesen – und den Gedanken, die sie bei Dir auslöst.
Stell Dir vor, es ist ein wunderschöner Frühlingsmorgen. Die Sonne scheint, die Wiesen zeigen sich in herrlichen Farben: das helle Grün von frisch gewachsenen Gräsern und Kräutern, dazwischen die bunten Punkte der Frühlingsblumen. Ein Hase sitzt mittendrin und lässt es sich schmecken. Das schöne Wetter hat auch Spaziergänger mit ihrem Hund nach draußen gelockt. Sobald der Hund den Hasen erblickt, geht er sofort auf die Jagd. Wir wissen, was beim Hasen passiert? Richtig: Das Stress-System wird blitzschnell aktiviert. Die Ohren des Hasen gehen hoch und alle Sinne richten sich auf die Gefahr. Die Wahrnehmung ist hoch geschärft und eng ausgerichtet. Der Organismus gibt Vollgas, blitzschnell gehen Herzschlag und Atemfrequenz in die Höhe, Blutzucker und Blutfette machen aus dem Blut einen Supertreibstoff, die Muskulatur ist hoch angespannt, alle Reflexe sind aktiviert. Der Hase rennt los. Die instinkthaften Programme wie Haken schlagen und Deckung suchen rasten ein. Nach wenigen Minuten der Verfolgungsjagd gibt der Hund auf und kehrt zu seinem Herrchen zurück. Was macht der Hase nach kurzer Zeit? Er grast weiter.
Jetzt stell Dir vor, der Hase wäre ein Mensch. Was würde er dann tun? Er würde vor allem denken!
Ich stelle mir das so vor:
- Oh Mann, das ging ja gerade nochmal gut!
- Dem habe ich aber gezeigt, was ne Harke ist, der hatte keine Chance gegen mich!
- Man darf doch gar nicht mit dem Hund spazieren gehen, ohne in anzuleinen! Der Kerl setzt sich einfach über alle Regeln hinweg. Unglaublich, wie gefühllos und rücksichtslos die Menschen sind!
- Aber an der einen Stelle hätte er mich fast gekriegt, da war er schon ganz nahe dran. Da hab ich schon seine riesigen Zähne gesehen und ihn keuchen gehört. Was der für ein schreckliches Maul hatte!
- Ob der wohl wiederkommt?
- Ob die hier öfter spazieren gehen? Hier sollte ich nicht mehr grasen, das ist viel zu gefährlich!
- Mein Kollege Egon war doch schon öfter hier grasen. Warum hat der mich nicht gewarnt? Wollte der mich etwa absichtlich in Gefahr bringen? Ich hatte immer schon das Gefühl, dass der mich nicht richtig mag!
- Moment mal, wollte nicht meine Frau mit den Kindern nachkommen?
- Wo sind die Spaziergänger hingelaufen, de gehen doch nicht etwa in Richtung Wald?
- Ich muss meine Familien unbedingt warnen, die laufen dem Hund doch direkt vor die Nase!
- Heute war ich ziemlich fit, aber was ist, wenn ich in der Nacht vorher nicht so gut geschlafen habe?
- Oder wenn ich älter werde und ein wenig langsamer bin? Morgens bin ich manchmal schon ein wenig steif in den Gelenken!
- Ich darf mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn mich der Hund zu fassen kriegt!
- Wie viel man wohl noch mitkriegt, bevor man stirbt? Spielen Hunde auch mir ihren Opfern so wie die Katzen mit den Mäusen?
- Ogottogottogott! Ich darf gar nicht daran denken! Das halte ich nicht aus! Da kann man ja verrückt werden!
- Was ist das für ein Leben, bei dem man ständig in Gefahr ist, aufgefressen zu werden?
- Warum bin ich nur als Hase auf die Welt gekommen und nicht als Hund? Das ist gemein, das ist ungerecht!
- Mit all diesen Sorgen und dieser Gefahr will ich gar nicht mehr weiterleben. Das macht doch alles keinen Sinn!
- Und wenn mich kein Hund und Kein Fuchs kriegt, sterben muss ich dennoch irgenwann! Da kann ich doch gleich Fliegenpilze fressen!
- Selbst, wenn mich der Hund und der Fuchs nicht kriegen, und sie kriegen auch nicht meine Frau und meine Kinder, wieviel Möhren kriege ich eigentlich als Rente?
Aus „Stressbewältigung“, Kaluza, Springer Verlag