Ungewissheits-Toleranz

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Das Gefühl, Situationen ausgesetzt zu sein, die wir nicht kontrollieren oder beeinflussen können und Ungewissheit sind zwei der größten Stressfaktoren für den Menschen.
Laut dem Salutogenese-Modell nach Aaron Antonovsky, trägt zum Erhalt unserer Gesundheit unser Kohärenzsinn bei – d.h. ein „durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens  – und zwar Vertrauen darauf, dass:

  • die Anforderungen aus der inneren und äußeren Erfahrungswelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind – Gefühl von Verstehbarkeit (sense of comprehensibility)
  • die nötigen Ressourcen verfügbar sind, um den Anforderungen gerecht zu werden – Gefühl der Wirksamkeit (sense of manageability)
  • diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investition und Engagement verdienen – Gefühl von Sinnhaftigkeit (sense of meaningfulness)“*

Je ausgeprägter dieses Kohärenzgefühl, desto besser können wir widrige Umstände meistern und flexibel auf Anforderungen reagieren. Hierin spiegeln sich auch die menschlichen Grundbedürfnisse der Kontrolle, Sicherheit und Gewissheit wider. Kommen uns diese abhanden, so verursacht das in hohem Maße Stress – einen Stress, der erst nachlässt, wenn wir die Quelle der Ungewissheit beseitigt haben.

Warum ich das hier schreibe?

Weil mir in den letzten Tagen wieder bewusst geworden ist, in welchem Maß die aktuelle Situation (noch immer) schwer verstehbar und unerklärlich ist, wie groß die Ungewissheit ist, ob wir sie meistern werden und welchen Sinn sie macht.
Wir müssen regelmäßig Entscheidungen treffen – und aktuell keine leichten – nämlich solche, die unsere Gesundheit und die anderer Menschen betreffen.
Doch wie, ohne Erklärung, ohne Gewissheit, was richtig ist?
Weil es Erleichterung verschafft, sind wir deshalb manchmal besonders empfänglich für jegliche Art von Erklärung. Besser eine komische Geschichte als gar keine Erklärung. Da haben wir dann wenigstens etwas, an das wir uns klammern können, das uns das Gefühl der Kontrolle zurückgibt.
Einfacher auf jeden Fall, als sich einzugestehen, dass man eigentlich nicht so recht weiß, allenfalls Anhaltspunkte hat, und eigentlich ängstlich und verunsichert ist.
Und wie es aussieht, ist erstmal kein Ende in Sicht.

Auch ich merke, wieviel Energie das zieht und ich mir immer bewusster überlege, wem oder was ich meine Aufmerksamkeit schenken möchte – ich brauche die Kraft, um Entscheidungen zu treffen, mit denen ich im Reinen bin.
Und da auch ich keinerlei Erfahrungswerte habe und ebenso im Nebel tappe, wie alle anderen, fällt auch mir das nicht leicht.

Deshalb habe ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen, was mir dabei hilft, nicht den Verstand zu verlieren 😉

Die folgenden Dinge haben sich für mich in den letzten Monaten bewährt, weswegen ich sie mit Dir teilen möchte:

Trainiere Deine Ungewissheitstoleranz

Das machst Du am besten, indem Du ab und zu mal Deine Routinen durchbrichst oder „Mikroabenteuer“ in den Alltag einflechtest. Kaufe z.B. ein Lebensmittel ein, dass Du  noch nicht kennst und bereite es zu. Oder plane eine Wandertour – mal nur mit echter Papierkarte, ohne Handy und GSP (früher war das Realität, kein Abenteuer, verrückt! ;-)). Plane einen Wochenendtrip – ohne die Übernachtung im Vorfeld zu buchen.
Die Fähigkeit, Dinge aus möglichst vielen Perspektiven zu sehen, ist ebenfalls förderlich. Das kannst Du zum Beispiel trainieren, indem Du Dir Kunst anschaust oder anhörst. Was kann man alles in einem Bild erkennen? Was würdest Du sehen, wenn Du jemand anders wärst? Welche Bilder lassen gewisse Lieder vor Deinem inneren Auge entstehen …?
Was ich für ein ebenfalls sehr gutes Training für mentale Agilität und den Umgang mit Ungewissheit und ständiger Veränderung halte, sind Übungen aus dem Impro-Theater. Hier lernst Du, spontan zu agieren und reagieren – und auch, das Ergebnis anzunehmen und damit weiter zu arbeiten – egal, wie es ausfällt. (Falls das spannend klingt: Das Impro-Theater Mannheim bietet in regelmäßigen Abständen Workshops an.)

Rückzug für Ruhe

Unser Geist ist wie ein Bergsee. Wenn wir ihm auf den Grund kommen wollen, braucht es eine stille Wasseroberfläche. Die ist schwer zu erreichen, wenn von außen immer wieder Steinchen reingeworfen werden oder Wind und Wetter über ihn drüberfegen. Nimm Dir regelmäßige Auszeiten vom Lärm, der Unruhe, dem Aktionismus, den tausend Meinungen und allem anderen, das Dir Energie zieht. Rückzugsmöglichkeiten – ob kürzer oder länger – sind essentiell, um zur Ruhe und wieder in Verbindung mit Deiner inneren Stimme zu kommen – die Dir bei Deinen Entscheidungen helfen wird.

Informationsmanagement

Um beim Bild des Sees zu bleiben: entscheide und steuere aktiv, welche Steine Du bis auf den Grund sinken lassen möchtest. Sprich: Filtere Informationen oder gehe dazu über, sie Dir nur noch aktiv zu holen anstatt zu versuchen, aus dem Wust, der Dir täglich entgegenschlägt, die hilfreichen von den weniger hilfreichen zu trennen.

Triff bewusste Entscheidungen – und mache Deinen Frieden damit

Mit mehr Klarheit und Ungewissheitstoleranz wird es Dir schon etwas leichter fallen, für Dich zu entscheiden. Nun brauchst Du nur noch den Mut dazu – und das Vertrauen in Dich, dass Du bestmöglich entschieden hast. Ob  Du mit Deiner Entscheidung im Reinen bist, merkst Du daran, dass Du kein Bedürfnis hast, Dich dafür zu rechtfertigen oder andere dazu zu bringen, sie „abzusegnen“. Entscheidungen geschehen immer aus der momentanen Situation heraus. Mach also Deinen Frieden damit. Auch wenn sie sich im Nachhinein als ungünstig herausstellen. Es hilft nix zu sagen: „Hätte ich damals gewusst, was ich jetzt weiß..“ – Du hast es damals nicht gewusst. Ende der Geschichte. Es gibt eben keine Gewissheit 😉

Sprich über Deine Ängste, Unsicherheiten

… und wie Du damit umgehst. Sei eine Inspiration, kein/e Bekehrer/in. So haben vielleicht auch andere den Mut, darüber zu reden und ein bereichernder Erfahrungs-Austausch, wie man in Zeiten von Ungewissheit und Kontrollverlust bei Gesundheit bleibt, wird möglich.

Gerne darfst Du Dich auch bei mir melden, wenn Du jemanden für den letzten Punkt brauchst.

Gib auf Dich acht!

Deine Birgit

*aus Salutogenese-Modell | Definition und Erklärung (academyofsports.de)