Mut zur Frage

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Wenn wir Menschen eines nicht so gut aushalten können, dann ist es Ungewissheit.
Von Natur aus versucht unser inneres System immer wieder zur Stabilität zurückzukehren, „Unwuchten“ auszubalancieren. D.h. offene Angelegenheiten zum Abschluss bringen, in unklare Angelegenheiten Klarheit bringen und von Ungewissheit zu Gewissheit – oder zumindest zu Wissen zu gelangen. Das schafft Sicherheit, ist wie ein Anker, an dem wir uns festhalten können und an dem wir unsere Entscheidungen aufhängen.

Nur ist das nicht immer so einfach. „Ich weiß, dass ich nicht weiß“, tönte es bereits in der Antike. Und nicht einmal die Wissenschaft hat Gewissheit und alle Antworten – wie wir aktuell am Thema Corona täglich mitverfolgen können.
Und das ist auch gut und richtig so. Wissenschaft hat nämlich nichts mit „alles schon wissen“ zu tun, sondern mit forschen. Es geht nicht darum, auf alles bereits eine Antwort zu haben sondern auf Basis von Fakten Annahmen anzustellen und diese dann durch das Stellen der richtigen Fragen zu überprüfen.
Und sie wieder zu verwerfen, wenn sie falsch waren.
Und sich das einzugestehen.
Und mit der dann noch immer oder wieder vorhandenen Ungewissheit leben zu können. Sie anzunehmen und wieder von vorne zu beginnen.
Also ein hochdynamischer Prozess.
Soviel zur Wissenschaft.

Nun zurück ins wahre Leben – wo es uns leider nicht immer so gut gelingt, den eben beschriebenen Lern-Kreislauf am Laufen zu halten.
Schnell soll es gehen mit der Lösung und der Bedürfnisbefriedigung. Also greifen wir gerne zu den üblichen „Quick Fixes“:
Wir gelangen zu unserer Erkenntnis, indem wir …

  • uns die Erklärungen selber stricken und ausdenken (Lücken in den Fakten selber füllen)
  • auf Erklärungen von anderen zurückgreifen (Presse, Social Media, Freunde)
  • unsere Schlussfolgerungen einzig und allein auf Basis unserer eigenen Erfahrungen ziehen.

Wie erklären uns die Realität – oder das, was wir für die Realität halten – stets so, dass sie in unser mentales Narrativ passt.

„Die Realität ist eine Illusion – wenn auch eine sehr hartnäckige. „
Albert Einstein

(Wenn Du Fabeln und Analogien liebst, schau an dieser Stelle doch mal nach der Geschichte von den Fünf Gelehrten und dem Elefanten; wenn Du eher der wissenschaftliche Typ bist, hier ein Buchtipp: Schnelles Denken, Langsames Denken)

Im Kleinen sind diese Quick Fixes nicht schlimm, manchmal ist schnelles Denken sogar notwendig – laut Hirnforschung müssen wir schließlich ca. 20.000 Entscheidungen am Tag treffen.
Dauerhaft angewandt können sie aber zu Überzeugungen und Gewissheiten führen, die uns im Weg stehen. Die verhindern, dass wir weiterkommen. Weil wir sie nicht hinterfragen. Weil wir uns immer nur in unserer Realität bewegen und so bei der Problemlösung immer wieder an der selben Stelle rauskommen.

Je tiefer er Anker unserer Überzeugung im Sand steckt, desto schwerer lässt sich der Kurs unseres Bootes ändern, wenn der Wind sich dreht.

Also, wie steht es um Deinen Forscherdrang?
Was glaubst Du zu wissen, wovon bist Du überzeugt – und wie bist Du zu dieser Gewissheit und diesen Überzeugungen gelangt?
Durch (Vor-)annahmen? – „Ich dachte, dass …“ / „Damit soll bestimmt …“ / „Wahrscheinlich wollen die …“
Durch Schlussfolgerungen? – „Wenn sich einer so verhält, dann ..“ / „Das kenn ich schon, …“
Basieren Deine Erkenntnisse auf unüberprüften Vermutungen oder auf validierten Annahmen?
Fragst Du nach?
Auch wenn es zu unangenehmen Antworten führen könnte?
Wen fragst Du? Betroffene oder Dritte?
Was fragst Du? Was Du bestätigt haben willst oder was Du wissen willst?
Wie fragst Du? Suggestiv-rhetorisch oder offen?
Wie gehst Du mit überraschenden Antworten um?
Bist Du dankbar für Erkenntnis und Offenheit oder ungläubig?
Und selbst wenn Fragen nicht möglich sind oder nicht zur Gewissheit führen, hältst Du es aus?
Oder greifst Du dann doch zum Quick Fix?
Traue Dich, zu fragen und zu hinterfragen.
Was Du hörst, was man Dir erzählt, was Du wahrnimmst – aber vor allem, was Du schlussfolgerst.
Wage es, Deine eigenen Annahmen in Frage zu stellen.
Wann immer möglich, frage direkt nach. Geht besonders gut bei Annahmen über Personen und ihre Verhaltensweisen.
Sprich mit Menschen, nicht über sie.
Und wenn es nicht möglich ist, Deine Annahmen zu überprüfen, bleib bescheiden. Wisse, dass Du wahrscheinlich nicht weißt.
Halte diese Grauzone aus.
Binäres Beurteilen fühlt sich zwar leichter an, bringt Dich aber nicht weiter.

„Solange man Helden oder Schuldige braucht, um eine Situation oder ein Problem plausibel zu erklären, hat man sie noch nicht verstanden.“
Gerhard Wohland

Wo könntest Du kommende Woche mal von Erklärmodus und Fragemodus schalten?
Welchen blockierenden Annahmen könntest Du  mal mutig durch Fragen und Forscherdrang auf den Grund gehen und vielleicht sogar sprengen?

Hab Mut zur Frage und lass Dich überraschen!

Deine Birgit

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