Arbeitplatzunverträglichkeit

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Eine der Methoden, um eine Lebensmittelunverträglichkeit festzustellen, funktioniert wie folgt: nach einem strikten Ernährungsplan wird 14 Tage komplett auf das Lebensmittel oder den verdächtigen Inhaltstoff verzichtet. Nach 14 Tagen darf man ihn wieder zu sich nehmen. Wenn eine Unverträglichkeit vorliegt, wird der Körper sehr heftig darauf reagieren – meist noch intensiver, als vor dem Entzug.

Ist mir in den Sinn gekommen, als ich die Menge der Artikel gesehen habe, die derzeit darüber berichten, dass es vielen Menschen schwer fällt – bis gar unmöglich ist – nach der langen Zeit im Homeoffice oder der Kurzarbeit wieder an den Arbeitsplatz zurück zu kehren. Ich sehe da Parallelen zum eben genannten Test – weswegen ich das Phänomen Arbeitsplatzunverträglichkeit getauft habe.
Meines Erachtens spielt sich im Körper Ähnliches ab – vielleicht weniger auf organischer sondern mehr auf psychischer Ebene – aber dennoch mit dem selben Grad an Unwohlsein.

Manche Menschen konnten durch den unfreiwillig auferlegten Arbeitsentzug das erste Mal seit Jahren mit etwas Distanz auf Ihre Arbeit und Arbeitsbedingungen schauen. 
Einige haben gemerkt, dass sie das so nicht mehr wollen – und sich gleich einen anderen Job gesucht.
Andere haben genossen, dass sie endlich einmal mehr Zeit zum Leben hatten  – und möchten dieses Stück Lebensqualität nicht mehr aufgeben.
Und wieder andere haben schlicht und ergreifend die Befürchtung, dass sie dem Druck des Hamsterrades nicht mehr standhalten können – oder auch wollen – jetzt, wo sie ein etwas entschleunigteres Leben mit mehr Selbstbestimmung erleben konnten.

Kurz: der Körper reagiert nach dem Hamsterrad-Entzug auf die Aussicht, dort wieder einzusteigen, viel stärker als in der Zeit im Hamsterrad.

Im Kleinen kennt man dieses Phänomen auch als Post-Holiday-Syndrom. Nach einem längeren Urlaub fällt es vielen Menschen schwer, bei der Arbeit wieder „Fahrt aufzunehmen“. Manche haben bereits auf der Rückreise Bauchschmerzen beim Gedanken an den ersten Arbeitstag.
Verrückt.. Sollte es nicht viel eher so sein, dass wir uns frisch erholt und glücklich darauf freuen, endlich wieder loslegen zu können, die Kollegen zu treffen, etwas zu bewegen?
Ist das Ausbleiben dieser Vorfreude nicht vielleicht ein Zeichen dafür, dass es bei meiner Arbeit mehr Aspekte gibt, die mir Magenschmerzen bereiten als solche, die mich erfüllen?
Der etwas zweifelhafte Rat der Experten lautet: „Mach einfach, das legt sich schon wieder nach ein paar Tagen.“

Für mich ist das, als wenn ich jemandem, der nach 14 Tagen Gluten-Entzug massive körperliche Beschwerden beim Brötchen-Essen bekommt, sage: „Iss einfach weiter, der Körper wird sich schon wieder dran gewöhnen.“

Klar, unser Körper kann sich an alles gewöhnen, auch an Schmerz. Aber welche Signale sende ich mir denn selbst, wenn ich meine Bedürfnisse bis zur gesundheitlichen Schädigung ignoriere? (Und wo wird das mittel- und langfristig enden?)

Mir ist bewusst, dass es einfacher ist, auf Brötchen zu verzichten als auf den Job, der mir meine Brötchen zahlt … Ich spreche ja auch nicht gleich von Kündigung. Ich wünsche mir aber, dass es uns – sowohl als Arbeitnehmer als auch als Arbeitgeber – besser gelingt, hinter die Symptome zu schauen und sie als Wegweiser für das wahrzunehmen, was einer Änderung bedarf, um Freude & Wohlbefinden = Produktivität zu steigern.

Wenn Dir das geschilderte Phänomen der Arbeitsplatzunverträglichkeit bekannt vorkommt, dann geh die Sache am besten Schritt für Schritt an:

  1. Nimm es wahr und ernst, dass Du dieses Gefühl hast – es ist in Ordnung.
  2. Schraube Dich nicht in ein „es-ist-ja-alles-so-furchtbar“-Drama rein, sondern überlege, was Du mit der Erkenntnis, die Du gewinnen kannst, anfangen möchtest.
  3. Was genau ruft dieses Unverträglichkeitsgefühl in Dir hervor? Was befürchtest Du vielleicht wieder aufgeben oder machen zu müssen?
  4. Was müsste sich an Deiner Arbeit/Deinem Arbeitsplatz ändern, um ihn „verträglicher“ zu machen?
  5. Mit wem wäre es hilfreich, zu sprechen, um Deine Bedenken und Bedürfnisse zu äußern?
  6. Was könnte Dein Plan B sein, wenn die Unversträglichkeit bleibt?

Da es erfahrungsgemäß eine Weile dauern kann, bis ein Setting gefunden wird, das Freude statt Frust hervorruft, ist es ausserdem hilfreich, die aktuelle Situation aus einer annehmenderen Perspektive zu betrachten (z.B. „Ich verspreche mir, mich um die Änderung meiner Situation zu kümmern. Bis ich etwas anderes gefunden habe oder weiß was ich will, mache ich das Beste aus den aktuellen Bedingungen.“)

Sei es Dir aber wert, weiter zu erforschen, in welchem Setting Du Dich am wohlsten fühlst – und auch am erfolgreichsten arbeiten kannst. Du hast hoffentlich noch ein paar Jahre vor Dir – sorge dafür, dass es glückliche werden.

Du bist wertvoll – sei gut zu Dir!

Birgit